Hommage an das Quadrat werke aus der Sammlung Marli Hoppe­Ritter 1915 bis 2009
Text von Andreas Pinczewski (Auszug)

Das serielle Raster in der Kunst gehört zu den wenigen formalen Prinzipien, von denen man behaupten kann, dass sie eine ausschließliche und bezeichnende Erfindung der Moderne sind. Und obwohl es in seinem Aufbau doch recht simpel ist - ein Grundmodul wird durch seine gleichförmige Wiederholung in eine parataktische Ordnung gebracht, hat das Raster bis zum heutigen Tag nichts von seiner Beliebtheit und Aktualität verloren, weil es stets neue Interpretationsmöglichkeiten erschließt, die mit anderen, traditionelleren Kompositionsprinzipien nicht möglich zu sein scheinen.

Auch in Gabriele Langendorfs Gemälde finden wir das Raster auf eine sehr sinnfällige Weise in Anwendung. Aus der Ansicht eines Teils einer modernen Hausfassade mit langgestrecktem, kubischem Balkonkorb, einer darauf angebrachten Satellitenschüssel und der durch die Brüstung halb verdeckten Balkontür wird ein monumentales Querformat, bei dem nicht mehr unmittelbar klar ist, was nun sein eigentlicher Gegenstand ist: Zum einen suggeriert die eintönige Wiederholung desselben Moduls und seine schablonierte Umsetzung in Grau, Schwarz und Beige einen ernüchternden Blick auf die Uniformiertheit moderner Vorstadtsiedlungen und deren Industrialisierung des Wohnens, zum ändern verliert sich der abbildende Charakter des Grundmotivs und geht in einem geometrisch­konstruktiven Muster auf, in welchem die Satellitenanlage lediglich ein Kreis und die angeschnittene Balkontür ein Quadrat ist, die Darstellung sich also einem abstrakten All­over unterordnet.

Bezeichnend an Langendorfs Werk ist jedoch, dass diese beiden Sichtweisen gleichwertig nebeneinander stehen und sich gegenseitig stützen. Somit ist dieses Panorama einer fiktiven Wohnblockfassade weder rein als Kritik am sozialen Wohnungsbau noch als von der Alltagswirklichkeit entferntes Arbeiten in autonom abstrakten Kategorien zu verstehen, sondern es eröffnet einen dritten Blick auf ein spezifisch (post)modernes Denken, das in ästhetischen Ausdrucksformen deren allzeit verfügbaren und austauschbaren, und damit im Grunde inhaltsleeren, Warencharakter herausstellt. Dieser Eindruck entsteht zumindest, wenn man Langendorfs serielle Gemälde neben die Mitte der 1990er Jahre entstandenen Hotelschlafzimmerbilder stellt, bei denen das sich gleich bleibende Motiv in jeweils unterschiedlichen Malstilen umgesetzt wurde. In diesen Interieurs sind die Ismen der Moderne zu wertfreien Atmosphärelieferanten für Wohnungseinrichter geworden ­ eine Entleerung künstlerischer Utopie, die auch »Parasiedlung« letztlich zu einer skeptischen Hinterfragung dessen werden lässt, was denn Malerei überhaupt vermag.

Museum Ritter Waldenbuch 2009, ISBN 978­3­88423­335­1