Passagen, Magazin für Kunst und Literatur, 1/99 Thomas Hirsch:
Draußen drinnen
Die Malerin Gabriele Langendorf
Die Sujets und die Anliegen bleiben, der malerische Stil aber kann sich, innerhalb einer Folge von Arbeiten, ändern.
Gabriele Langendorf beschäftigt sich über die Jahre hinweg mit ein und dengleichen Motiven; dargestellt sind die Fassaden von Beach-Hotels und von Wohnblöcken, dann der Fensterblick aus einem Zimmer auf ein (stilisiert künstliches) Bergmassiv.
Die zentralen Werkgruppen seit Mitte der 90er Jahre geben das Arrangement in einem Hotelzimmer wieder sowie die Sicht von einem Schiff auf das Ufer oder, in einzelnen Arbeiten, auf die Meeresfläche. -
Solche Bilder haben mit dem Reisen zu tun, dem Wechsel der Orte. Schon in den Arbeiten der frühen 90er Jahre werden Touristen-Ziele gezeigt - und sogleich, in der Betonung von Anonymität und Uniformität, konterkariert.
Auch wenn die Menschen niemals zu sehen sind, meist sind Momente des Architektonischen dargestellt. Gezeigt werden funktionale Bauten, angesprochen wird die Überlegung, was, bei Räumen wie bei Gebäuden, Wohlbefinden, „Gemütlichkeit“ oder Fremdheit auslöst.
Gabriele Langendorf wurde 1961 in Rheinfelden an der Schweizer Grenze geboren. Nach einer Ausbildung als Textilmustergestalterin hat sie zunächst in Basel studiert, daran anschließend an der Städelschule, der Kunstakademie in Frankfurt/M., bei Raimer Jochims.
Die ersten Ausstellungen hatten da bereits stattgefunden und das Werk besaß schon Konturen, die vom Interesse an urbanen Realitäten geprägt waren, sich durch die Wiederholung kleinteiliger „Muster“formen über dem Bildgrund (zeitweise vermittels von Druckverfahren) kennzeichneten, umgesetzt auf sehr großen Formaten.
Immer löst Gabriele Langendorf ihre Themen malerisch, Ausgangspunkt ist real Gesehenes (das teils selbst erlebt, teils Photoreproduktionen entnommen ist), das nun, aus seiner Umgebung gelöst, in eine bestimmte Befindlichkeit getaucht wird.
Malerei als Möglichkeit, sich den Dingen in verschiedenen Weisen zu nähern, damit Unterschiedliches mitzuteilen, wird in den Werkgruppen ab Mitte der 90er Jahre zu einem zentralen Moment, bei den „Hotelschlafzimmern“ (1993-1997) und den „Schiffsbildern“ (1995-1997);
bei der ersten dieser Serien wechselt der malerische Vortrag von Bild zu Bild - ein Verfahren, das sich in Ansätzen auch bei den „Schiffsbildern“ findet; diese verbindet zudem die Darstellung der Wasseroberfläche: Formen, die in der Spiegelung verzerrt sind, Farben, die sich mit dem Licht auf der Wasserfläche brechen.
Erstmalig waren die „Hotelschlafzimmer“, die als eine zusammengehörige Arbeit zu verstehen sind, in einer Ausstellung der Herbert-Weisenburger-Stiftung im Stadtmuseum Rastatt (September/Oktober 1998) zu sehen. Die Reihenfolge der Tafeln ist, in linearer Hängung, festgelegt, der Abstand zwischen den einzelnen Tafeln identisch mit deren Breite.
Gabriele Langendorf hat für diese Bilder - insgesamt 54 Tafeln in Öl auf Leinwand - ein kleines Format, je 20 x 24 cm, gewählt. Anstelle eines Titels besitzen die Bilder in der Reihenfolge ihrer Entstehung (die aber nicht mit der Hängung identisch ist) Ziffern.
Die Kleinheit des Formates fördert den intimen Charakter, die Ziffern muten wie die Nummern von Zimmern an, in welche der Betrachter - wie durch ein Schlüsselloch -schaut, nun gleichsam Voyeur. Auch diese Darstellungen bleiben menschenleer, keine Spur, die auf die Anwesenheit irgendeiner Person weist. Die Hotelzimmer aber (die es tatsächlich sämtlich gibt)
besitzen ihre Aura, sie erzählen auf stumm beredte Weise Geschichten. Die Erscheinung, die Ausstattung wandelt sich. Neben den funktional eingerichteten nüchternen Räumen von Hotelketten finden sich Stuben mit ebenso kitschigem wie eigenwilligem Farbarrangement, gestreiften Tapeten, tausend kleinen Details, für welche diese Gemälde zugleich schärfen:
Zimmer in einem Hotel, das sich irgendwo an einem Highway oder im großstädtischen Hinterhof oder in der ländlichen Idylle zu befinden scheint - eine fulminante Reise durch ein Kapitel der Kulturgeschichte. „54 Zimmer, in denen täglich aufs Neue die Spuren ihrer Nutzung getilgt werden müssen“, schreibt Andreas Bee.
Gabriele Langendorf „transportiert die Eigenart eines Raumes mindestens ebenso stark wie die Nachdichtung des Realen, jedes Zimmer, sofern es Beachtung verdient, hat etwas Besonderes" (Kat. Rastatt 1998, S. 39/ 42). Affinitäten zum eigenen Leben, zu Erlebnissen stellen sich ein, unsystematisch und analytisch zugleich.
Wie die „Hotelschlafzimmer“ zeigen die „Schiffsbilder“ verschiedene Orte in verschiedenen Ländern. Gegenüber den Hotelzimmern ist die Werkgruppe der „Schiffsbilder“ offener konzipiert, zudem weiter fortführbar; jede Arbeit steht für sich, und die Formate wechseln. Auch jetzt geht es um Gestimmtheiten, um Erinnerung, die zwischen Autobiographischem und allgemeinen Erfahrungen oszilliert.
Meist überwiegt die „Leere“, eine Form von Schweigsamkeit, wenn die Schiffe mit einer Abdeckplane überzogen sind, ein Steg zwischen den Booten wirkt steinern und unverrückbar, die Darstellung ist in ein eisig grau-blaues Licht gehüllt, eine eingefrorene Szenerie mit existentiellen Konnotationen; vielen dieser Bilder ist die Langsamkeit eigen, bis hin zur Auslöschung von Zeit.
Auf einem anderen Gemälde wird mit Leichtigkeit Pittureskes eingefangen, ein Backsteingebäude mit großen Fenstern, davor, auf der Straße am Ufer, ein gelbes Auto, hiervor dann der Wasserstreifen mit einem blauen Schiff. Oder ein nächtlicher Himmel, die Lichter auf zwei Schiffen lassen an ein rauschendes Fest denken, das Licht spiegelt sich in langgezogenen Bahnen im Wasser.
Auf einem anderen dieser Bilder besteht die Darstellung aus vier horizontalen Zonen: Auf das blaue, leicht bewegte Wasser folgt eine steinerne Befestigung, darüber ein dichtes Grün (von Büschen, von Bäumen) und hierauf ein heller Himmel, in diesem die weißen Linien von Düsenflugzeugen.
Eine kleinere Folge von Arbeiten zeigt lediglich die Wellen mit dem Horizont - jedes Bild ist in ein anderes Licht getaucht -, umrahmt von dem queroblongen Bullauge. Der Betrachter folgt gleichsam der Sicht von Gabriele Langendorf, das Fenster erweist sich als einzige Festlegung, „Ortung“ dieser Arbeiten, welche aber nach den Koordinaten der Längen- und Breitengrade betitelt sind.
Das „Wahrhafte“, real Existente ist stets ein Moment in Langendorfs Bildern; die „Schiffsbilder“ sind im Anschluß an Fahrten durch die Flüsse und Kanäle Westeuropas entstanden. Virtuos ist auch hier das Einfühlen in verschiedene Stimmungen und Situationen; mitunter werden, in souveräner Malerei, Stillagen des Photo-Realismus und der Pop-Art aufgegriffen.
„Worum geht es mir? Sicher auch darum, das scheinbar Normale, das Alltägliche in ein anderes Licht zu rücken", hat Gabriele Langendorf 1994 geschrieben. „Meine Bilder sollen eine 'konstruktive Unruhe' stiften, sie wollen subtil irritieren“. Und sie geben, auf die aktuellen Arbeiten bezogen, Zeit wieder.
Sie lösen das Beiläufige von der Möglichkeit des Zufälligen oder Unbedachten und schaffen Bilder von bleibender Eindringlichkeit.
Thomas Hirsch