Gabriele Langendorf

Private Schlafzimmer

  1. Ein Bild von sich (Thomas Hirsch)
  2. “Den Kopf oder die Phantasie beruhigen” (Daniela Gregori)
  1. Ein Bild von sich (Thomas Hirsch)

    Anfang der neunziger Jahre hatte ich das Vergnügen, einen schwäbischen Kunstsammler in die Ateliers zu begleiten. Ziel war der Erwerb einer Arbeit, die möglichst wichtig, für den Künstler selbst bedeutsam wäre. Das Procedere folgte mehr oder weniger dem gleichen Ritual. Das Interesse galt weniger dem Atelier mit den aktuellen Arbeiten als vielmehr den privateren Regionen des Hauses - im Idealfall dem Schlafzimmer: Nachgerade war Ziel, eben das Bild zu erwerben, das im Schlafzimmer über dem Bett hing... Das Bild im Schlafzimmer als das möglicherweise Liebste, Intensivste. Unsichtbar sind Geschichten eingewoben, die nicht für jeden zu verstehen, geschweige denn bestimmt sind. Ob dieses Bild dann für eine öffentliche Sammlung geeignet ist, sei dahingestellt. Schlafzimmer sind keine Orte, die man Fremden zeigt.

    Gabriele Langendorf malt Schlafzimmer, aber sie verrät keine Geheimnisse. Das Private bleibt im Privaten. Der Bewohner wird im Bildtitel nicht genannt; dem Straßennamen eignet generell eine poetische Qualität, er öffnet im Sinne von Anmutung und Nachklang. - Zwei Titel weisen auf New York, in der Tat haben diese Bilder einiges gemeinsam: Sachverhalte, die aber weniger mit der Stadt als vielmehr mit den Porträtierten, deren Wohnung und den Fotos zu tun haben mögen - oder es gehört eben alles zusammen. Beide Bilder sind Hochformate, die Beschreibungen, im Gegenlicht längs durch das Zimmer, erfolgen wie hinter einem Schleier. Die Farbigkeit ist zurückgenommen, fast monochrom, lasierend in dünnen Schichten, ohne Faktur und Gestus, soweit die Gemeinsamkeiten.

    Gabriele Langendorf arbeitet in Bildfolgen; die Konstituenten - das Sujet und die Vorgehensweise - sind von vornherein festgelegt. Verbunden ist damit die Frage nach den adäquaten bildnerischen Mitteln, um Atmosphären und Stimmungen, Unbehagen und Harmonie zum Ausdruck zu bringen: der Umgang mit Farbe, Tonalität, das Agieren mit Licht und Schatten, Anschnitt und Ausschnitt und sachlichem Konstatieren. Überblickt man das Werk von Gabriele Langendorf seit seinen Anfängen, dann wird deutlich, wie weit Gabriele Langendorf den Radius des malerischen Ausdrucks spannt. Auf ein verhalten gestrichenes Bild kann ein gestisch expressives, pastoses Gemälde folgen - konzeptuelles Kalkül und pure, sinnliche Malerei gehen hier eine Einheit ein. Motivisch schließen die „Privaten Schlafzimmer“ an frühere Werkgruppen an. Seit Anfang der neunziger Jahre stellen Räume und das Befinden in diesen, die Auseinandersetzung mit Architektur - Fassaden, Hausfronten, der Blick ins Zimmer und aus diesem durchs Fenster nach draußen - einen wichtigen Aspekt der Malerei von Gabriele Langendorf dar. 1993/94 entstanden riesige Gemälde mit gleichförmigen, monoton gegliederten Fassaden von Touristenhotels; parallel dazu mehrteilige Folgen, bei denen der Blick durch ein quasi nach DIN-Standard eingerichtetes und aufgeräumtes Hotelzimmer auf ein Bergmassiv oder das Meer geführt wird, die Tafeln unterscheiden sich dann durch ihren Farbton (1993-96). Schließlich die 54-teilige Folge der Hotelschlafzimmer (1993-97), die stets aus der analogen Sicht beschrieben sind, Menschen selbst nicht zeigen und eine allgemeine Zugänglichkeit proklamieren, zugleich aber auch Erinnerungen wachrufen können. - Alles in allem, in der Chronologie dieses Werkes, geht die Beschreibung von Außen nach Innen, von der glatten Anonymität des Gesichtslosen und der seriell gerasterten, ausdruckslosen Oberfläche schließlich zum Auratischen, das sich mit Geschichten verbinden lässt. Die Farbigkeit wechselt vom Plakativen, das gleichmäßig vorgetragen ist, zu einem Umgang mit Tonalität, welche von Bild zu Bild verschieden ist und auch im Duktus Emotionen und Ausdruck zeigt.

    Die „Privaten Schlafzimmer“, die Gabriele Langendorf seit 1999 erstellt, gehen insgesamt weiter. Sie überschreiten die Schwelle vom Öffentlichen zum Privaten. Die Szenerien sind real und individuell, und die Räume selbst sind nicht für jedermann zugänglich. Die ermalte Öffentlichkeit der „Schlafzimmer“ nimmt ihnen aber nichts von ihrem Besonderen. Es geht nicht mehr um allgemeine Erkenntnisse, sondern um einzigartige existenzielle Zustände. An dieser Schnittstelle zwischen beredter Ausstrahlung, Mitteilungsbereitschaft und Zurückhaltung, schließlich Verborgenem ereignen sich die Arbeiten.


    Die Fotovorlagen, die den Bildern zugrunde liegen, sind (mehr oder weniger bewusst) Selbstporträts, und die Gemälde, die Gabriele Langendorf erstellt hat, sind (jedenfalls indirekte) Porträts. Die Geschichte dieser Bilder beginnt damit, dass Gabriele Langendorf Freunde, Bekannte gebeten hat, ihr ein Foto des Schlafzimmers zur Verfügung zu stellen. Vorgaben wurden keine gemacht, Beleuchtung, Perspektive etc. blieben Jedem selbst überlassen. Entsprechend geben die Fotos eigene Sichten wieder: Wie man sein Schlafzimmer sieht oder gesehen haben möchte. Das Schlafzimmer als persönlichster Raum - der Träume, Phantasien, Obsessionen, Krankheiten, des Rückzugs, der Einsamkeit und der innigsten Gemeinschaft, ein wenig etwas von einem Schneckenhaus und Nest: ein Raum zum Leben und Überleben - teilt auf direkte und indirekte Weise Wesentliches über seine Bewohner mit. Lebensform, Vorlieben, Andenken, die für einen Teil des Lebens stehen, finden sich hier, geschützt vor der Außenwelt.

    Bereits die Auswahl der zu Porträtierenden aber initiiert den Dialog, den Gabriele Langendorf beim Malen im Atelier fortsetzt. Wie sie berichtet, fließen eigene Erinnerungen ein, auf subtile Weise, wie sie den Anderen sieht, beruhend auf Begegnungen. Im wesentlichen belässt sie die Vorlagen; die Eingriffe betreffen den Anschnitt der Darstellung, die Farbgebung und die Wahl des Lichtes. Vereinzelt hat Gabriele Langendorf Gegenstände weggelassen, andere hinzugetan, um einzelne, ihr wichtige Aspekte zu betonen und die Komposition zu klären.

    So hat sie bei einem Bild zusätzlich einen Turnschuh und eine Wasserflasche ergänzt, dadurch das
    Arrangierte der Darstellung (welches z.B. im Spiel von Blau und Rot vorliegt) weiter akzentuiert. Die
    Einzelheiten besitzen eine wesentliche Rolle für die Individualität der Person: Bilder an der Wand, ein
    Bett, das auf Holzklötzen aufgebockt ist, Teppichmuster, Pflanzen, das Arrangement von Kissen, die
    Bücher (ein Buch aus der Bibliothek Suhrkamp im Nachttischfach und Reclambände im Regal neben
    dem Bett), eine Katze. Draußen sind Äste zu sehen. Spiegelungen finden sich bei mehreren Bildern;
    einmal, ein einziges Mal, ist sogar der Bewohner des Zimmers zu nachtschlafener Zeit in der
    Fensterscheibe zu erkennen. Gabriele Langendorf verstärkt die Gestimmtheit durch die Lichtführung
    und durch die Betonung der Ordnungsprinzipien. Überhaupt, Detailtreue und minimale Abweichung,
    ein leiser Anflug von Humor und damit eine gewisse ernste Leichtigkeit bestimmen den Charakter
    dieser Bilder, die zu persönlichen Statements der Verbundenheit mit einem befreundeten Menschen
    werden - so oder ähnlich hat Gabriele Langendorf dies selbst einmal formuliert. Die „Privaten
    Schlafzimmer“ bleiben sperrig: intim, im Zwiegespräch, und in ihrer Offenherzigkeit diskret.
  2. “Den Kopf oder die Phantasie beruhigen” (Daniela Gregori)

    Zu den Schlafzimmerbildern Gabriele Langendorfs

    Im Oktober 1888 berichtet Vincent van Gogh seinem Freund und Kollegen Paul Gauguin, er habe für die Ausschmückung des Hauses, welches sie später gemeinsam bewohnen sollten, ein Bild von seinem Schlafzimmer gemalt. Es habe ihm „ungeheuren Spaß gemacht, dieses Interieur mit nichts drin, von einer Einfachheit à la Seurat“ (Van Gogh, Briefe B22), um nach der genauen Beschreibung der Farbigkeit noch zu erklären, daß er „eine vollkommene Ruhe ausdrücken wollte“. Seinem Bruder Theo gegenüber zeigt er sich freilich mitteilsamer, bei dem Schlafzimmerbild „soll einem der Gedanke an Ruhe oder ganz allgemein Schlaf kommen. Kurz, der Anblick des Bildes soll den Kopf oder richtiger die Phantasie beruhigen“. Einige Zeilen später bringt er es auf den Punkt wenn er schreibt, „Damit räche ich mich für die erzwungene Ruhe, die ich halten mußte.“ (Van Gogh Briefe 554)

    Eine Version jenes „Schlafzimmers in Arles“, welches 1909 auf der internationalen Kunstschau in Wien präsentiert wurde, dürfte den damals 19-jährigen Egon Schiele schwer beeindruckt haben, denn kurz nach seiner Übersiedelung von Krumau nach Neulengbach, malt Schiele im Herbst 1911 ein Bild seines Wohnraumes, welches in wichtigen Details wie der Position des Bettes mit dem Vorbild übereinstimmt. Nun kann man von beiden Künstlerpersönlichkeiten nicht behaupten, daß menschenleere Interieurs zu ihren bevorzugten Sujets gehören würden, doch beide sehen das Bild ihres Schlafraumes offensichtlich geeignet dafür, einen Neubeginn zu definieren.

    Auch bei Gabriele Langendorf ist es das Bild eines Raumes mit Liegestatt, auf welchem eine Wende in ihrem Leben markiert ist. Man sieht nicht viel von diesem Raum im 1999 entstandenem „Marienhospital“. Ein schlichtes Holzkreuz und eine Mehrfachsteckdose an einem kleinem Stück Wand, ein Tisch samt Blumenvase sind Versatzstücke, ja Indizien dafür, daß es sich bei dem beinahe raumfüllenden Miteinander von einem großen und einem kleinen Bett um ein Krankenhauszimmer für Wöchnerinnen handelt, und es ist ein Leichtes sich auszurechnen, daß es Gabriele Langendorf selbst ist, welche diesen Raum gemeinsam mit ihrer Tochter Lilli kurzfristig bewohnte. Es scheint beinahe so, als stünden sich in dem Bett der Mutter und des Kindes Vergangenheit und Zukunft gegenüber, hier eine schnell hingeworfene weiße Decke, deren Oberfläche unregelmäßige Falten und sanfte Wellen bildet, da eine wohlgeordnete, sorgsam glattgestrichene rosa Daunendecke.

    Nach all den Jahren der Unruhe, des Reisens zu Wasser und zu Lande, nach vielen erlebten wie auch gemalten unpersönlichen Hotelzimmern, fand sich die Künstlerin nun an einem Punkt angekommen, an dem der Blick auf ein wie auch immer geartetes Inneres und persönliche Kontakte eine zentrale Rolle spielen. Die Bitte an Freunde, Bekannte und Familienangehörige um ein oder mehrere Fotos ihres Schlafzimmers war die Folge einer Bestandsaufnahme ihrer Beziehung zu vertrauten Menschen.

    Bei der 1993 bis 1997 entstandenen Werkgruppe der Hotelschlafzimmer ging es Gabriele Langendorf noch darum, sich mit der Malweise und einer gehörigen Portion Ironie der Stimmung und dem Ambiente eines Raumes zu nähern, der schlicht das ist, was er ist, ein unpersönliches Durchgangszimmer. Jedes der privaten Schlafzimmer der neuen Serie hingegen steht gleichsam als „imaginäres Portrait“ (G.L.) für jene Person, die es bewohnt, und da die Künstlerin nicht vor Ort, sondern vom Foto malt und die Räume selbst oft nicht kennt, ist es allen selbst überlassen, sich durch das Zimmer präsentiert oder repräsentiert vorzukommen. Je nachdem wie Gabriele Langendorf die Person empfindet oder in welcher Beziehung sie zu ihr steht, wird hernach Faktur, Bildausschnitt, Farbigkeit und Größe ausgewählt.

    Doch nicht nur das, manchmal wird die Lichtsituation verändert, Details werden dazuerfunden oder genauso einfach weggelassen. Im Gegensatz zu Wohnzimmern müssen Schlafzimmer nicht repräsentieren, sie spiegeln im Idealfall wider, was der Mensch benötigt, um Schlaf, Ruhe oder Geborgenheit zu finden. Was die Künstlerin als stillen Dialog mit dem jeweiligen Menschen benennt, kann ebenso als zweifache Überblendung der realen Situation bezeichnet werden. Bilder fremder Räume, die als Serie durchnumeriert sind, welche allesamt die Straßennamen als Untertitel tragen und die sich alle in der Größe, nicht aber in der Proportion (3:4 od. 4:3) unterscheiden: Der Betrachter begibt sich mit auf Spurensuche und erfährt vielleicht nicht immer etwas über die Vorlieben der Menschen im Umfeld der Künstlerin; ein Eindruck aber, wie sie zu ihnen steht, ergibt sich allemal. Wie fern und irreal, beinahe in einer Traumwelt (und nicht in New York) lokalisiert, erscheinen das in Violettönen gemalte Schlafzimmer 2 und das wie durch einen Schleier gesehene, verschwommene Zimmer 3 gegenüber der der unmittelbaren Nähe und dem vertraut fröhlichen Chaos der Räume 8, 9 und 11. Nicht nur der knapp gewählte Bildausschnitt, auch die Unordnung der Betten lässt auf eine Nähe zu jener Person schließen, die sich daraus erhoben hat.

    Beliebig ließen sich solche Interpretationsspiele fortsetzen, und je vielfältiger sie werden, desto klarer wird die Tatsache, daß es sich bei all den Bildern fremder Räume und Menschen immer um eine einzige Person handelt, die ein Zuhause gefunden hat: die Künstlerin selbst.