Monografie: Gabriele Langendorf: Edenbilder 1993, Passagen 11/ Huber Nising


Katalog anläßlich der Ausstellung
Galerie Huber-Nising
Frankfurt am Main, 1.April bis 5.Juni 1993


Peter Repp: Drei Annäherungen

  1. Mein Urlaubsparadies Seite 3 - Peter Repp
  2. Kunst am Bau - Gabriele Langendorfs Arkadien Seite 12 - Peter Repp
  3. Wie ein Bild entsteht Seite 19 - Peter Repp
  4. Gabriele Langendorf: Zu meinen Bildern Seite 8
  1. Mein Urlaubsparadies Seite 3 - Peter Repp

    Seit mehr als fünf Jahren verbringe ich meine Ferien in A. Beim ersten Mal hatte ich bei einer einheimischen Familie ein Zimmer mit Kochgelegenheit gemietet, es gab nämlich noch keine Hotels in Strandnähe. Im nächsten Jahr waren dann welche da.

    Mein Hotel heisst "Karaoke Beach Inn". Weil ich mittlerweile Stammgast bin, werde ich bevorzugt in den oberen Stockwerken untergebracht. Von dort kann man das Areal wunderbar überblicken: Schaue ich senkrecht nach unten, schimmert herrlich blau der ovale Swimmingpool, gleich daneben das Planschbecken für die Kleinen.

    Im letzten Sommer soll jemand vom oberen Stockwerk runtergesprungen sein. Vielleicht liegt der Swimmingpool deshalb meist verlassen da. Die Hotelleitung könnte sich das Wasser eigentlich sparen.

    Dann kommt die Hotelterrasse mit den lustigbunten Sonnenschirmen. Schade, daß die Preise für Speisen und Getränke im Freien doppelt so hoch sind wie in der Lounge. Zudem stellen die Kellner einem leider nur dann Tisch und Stuhl raus, wenn man vorher ein ordentliches Trinkgeld gibt.

    Die Terrasse wird von unglaublich grünen exotischen Pflanzen gesäumt, die ich nicht mit Namen kenne. Die wuchern bei dem Klima hier so, daß einem Angst werden könnte. Manche Blumen kenne ich von den Balkonen in unserem Wohnblock in H. her. Dort werden sie aber lange nicht so dick und fleischig.

    Im letzten Jahr hat ein Animateur jeden Abend eine Karaoke-Show veranstaltet. Da war ganz schön was los da unten. Es war so lustig, daß sich nach einer Woche niemand mehr auf die rosa Bühne getraut hat.

    Von hier oben hat man auch einen sagenhaften Blick auf das blaue Meer. Es liegt immer völlig ruhig, weil so wenig Wind weht. Eigentlich könnte man ganz schön schwimmen gehen, aber tagsüber ist es am Strand viel zu heiß.

    In der Ferne erheben sich die Berge. Sie sind saftig blaugrün bewachsen, obwohl es hier überall sonst so trocken ist. Von diesen Bergen habe ich schon öfters nachts so komisch geträumt. Die Natur geht schon seltsame Wege. Vielleicht liegt es auch daran, daß ich immer alleine in Urlaub fahre.

    Über allem spannt sich ein strahlend blauer Himmel. Der ist so blau wie sonst nirgends auf der Welt. Das Blau ist so dicht, daß man darin noch nicht einmal die landenden und startenden Ferienjets sieht. Man hört sie nur.

    P.S.: Gestern war eine Malerin da, die auf der Insel in einer kleinen Hütte wohnt. Sie hat das Hotel gemalt. Genauso wie es in Wirklichkeit aussieht. Ich schicke Euch anbei ein Foto von ihrem Bild.



  2. Kunst am Bau - Gabriele Langendorfs Arkadien Seite 12 - Peter Repp

    Um Stuttgart herum macht die Autobahn einen grossen Bogen. Bei der Fahrt über die "Filder"- am Flughafen vorbei- kann man in nördlicher Richtung ein ungewöhnliches Bauwerk ausmachen. Über dunkel-dunstigen Baumwipfeln erheben sich fern am Horizont zwei gigantische Blöcke: Der "Hannibal", eine Trabantensiedlung der siebziger Jahre. Hinter ungezählten Geschossen, Balkonen und Wechselsprechanlagen leben zwei-, vier-oder sechstausend Menschen - ich weiß die Zahl nicht mehr.

    Ein Freund wohnte im dreizehnten Stock. Der bekam täglich außergewöhnlichen Besuch: An der glatten Betonfassade kletterte jeden Morgen ein Eichhörnchen hoch und holte sich auf der schmalen Fensterbank sein Frühstück. Diese Unerschrockenheit, ja Frechheit des Tieres gegenüber der monströsen Architektur verlieh der Wohneinheit "A 13 L" Poesie.

    Gabriele Langendorf zeigt ebensowenig Respekt vor solchen Bauten. Sie nutzt die Geometrie der Gebäude für ihre malerischen Exkursionen. Strukturen und Raster der Fassaden bilden die Grundfläche für eine Art "Mensch ärgere dich nicht"- Spiel der Malerei. Bei der Auswahl der Farben, mit denen sie ihre Häuser "streicht", geht sie weit unverfrorener vor als jede Wohnungsbaugesellschaft. Vom Grün ihrer exat wachsenden Pflanzungen und dem Rot ihrer saftigen Blumen können Großgärtnereien allenfalls träumen. Der erste Blick auf diese gestalterischen Zuspitzungen löst beim Betrachter vielleicht ein verständnissinniges Amüsement aus. Der ironische Ansatz dient allerdings nur als Rahmen, als Einstieg in die Welten der Malerei Langendorfs.

    An Stadträndern, in Industriegebieten und Ausfallstraßen fotografiert sie "ihre" Motive; sie hortet stapelweise Polaroids und Reisekataloge. Alle ihre Gebäudeportraits haben Vorbilder in der real existierenden Welt. Jede An-, Unter- oder Aufsicht ist mit renaissancehafter Akkuratesse perspektivisch konstruiert. Es sind die "Accessoires", die eine seltsam befremdende Unruhe suggerieren: Die Ellipsen der Swimmingpools etwa kippen uns irgendwie zu weit entgegen - eigentlich würden sie uns gleich überschwemmen, wenn ihr Wasserspiegel nicht so abgrundtief unten läge. Oder da wird ein Vordach völlig asymmetrisch und jeder Statik spottend mit einer einzelnen hauchdünnen Säule abgestützt, dort fällt Licht auf einen Sonnenschirm, der doch eigentlich im Schatten steht.

    Um ihre Wohnblocks, Hotels und Einkaufsmärkte herum hat die Malerin ordentlich aufgeräumt: Man findet keine Autos auf den Parkplätzen, keine Stühle auf den Terrassen, keine Surfbretter an den Stränden. Weit und breit keine Spur eines menschlichen Wesens, obwohl doch irgend jemand die Sonnenschirme aufgespannt hat und einer die Blumen gegossen haben muß. Die prächtig blühenden Geranien lassen kein Blütenblatt fallen. Unter Büschen und Bäumen liegt nicht das kleinste Ästchen. Alles ist blitzsauber. Unter dem stillen Himmel regt sich kein Lüftchen, nichts ist bewegt und alles - Haus, Baum, Berg, See, Himmel - ist in eine einzige kristalline Immobilie verwandelt. Vor der alptraumhaften Stimmung, die sich auf den Bildern der "pittura metafisica" einstellt - auf den menschenleeren Plätzen des Chiricos zum Beispiel -, rettet uns aber das Eichhörnchen...

    Da gibt es frech leuchtende, ja kokett und selbstbewußt auftrumpfende Farben. Manchmal rücken sie in kühnen nachbarschaftlichen Konfrontationen hart zusammen. Oder sie gleiten in ihren Abmischungen und Lasuren schräg aneinander vorbei. In raffinierter Unbekümmertheit bilden sie den Ausgleich zur lapidar vorgetragenen und scheinbar einfachen Struktur der Bilder. Die Balance ist erreicht.

    Mit Eleganz und malerischer Delikatesse wird die Einheitsarchitektur der Supermärkte behandelt. Der Kundenparkplatz öffnet sich zur kontemplativen Farblandschaft. Banale Fassadenausschnitte erstrahlen in komplementären Kontrasten, und die blausatte Schwärze der Schattenbereiche wird von der lichtlosen Tiefe der Fenster hintergründig in Frage gestellt.

    Gabriele Langendorf schildert hier ein zeitgemäßes Arkadien. Im Swimmingpool tief unten fließt der tödlich kalte, aber einladend blau schillernde Höllenfluß Styx.
  3. Wie ein Bild entsteht Seite 19 - Peter Repp

    An der Haustür klingelte einmal im Jahr der mit einer schweren Holzlade bepackte Mann. Er verkaufte Glückwunschpostkarten. Das besondere an seinem Gewerbe war, daß er die Karten nach Gusto der Kunden an Ort und Stelle - das heißt vorm Haus und unter freiem Himmel - anfertigte. Im Holzkoffer, dessen Deckel er als Arbeitsunterlage benutzte, hatte er zwischen schmalen Stegen seine Materialien untergebracht: Verschiedene Farbpulver, dazu grobe und feine Glimmerplättchen in Gold, Silber, Rot, Grün und Blau. Für uns Kinder war der Hausierer eine große Attraktion, und so war er bei seiner Arbeit immer von einer raunenden Horde umringt. Auf einem weißen Karton trug er mit Hilfe verschiedener Schablonen einen unsichtbaren Leim auf. Dann streute er seine Pulver darüber, die auf den geleimten Stellen haften blieben. So bildeten sich Linien und Flächen. Der Vorgang wiederholte sich ein paar Mal, und vor unseren gierigen Augen entstanden schillernde Osterhasen, ein goldglänzendes Bethlehem oder verschneite Wälder im Sternenstaub.

    Wer Gabriele Langendorf bei der Arbeit an einer ihrer Fassaden beobachtet, braucht etwas mehr Geduld. Die Malerin ist zunächst während einiger Tage mit unscheinbaren Photos, winzigen Skizzen und undurchschaubaren Berechnungen beschäftigt. Dann verbringt sie wiederum etliche Zeit damit, verschiedene Papierschablonen auszuschneiden. Schliesslich spannt sie ein grossformatiges Baumwolltuch an der Atelierwand auf und streicht es mit Acryl mehrmals vor. An den Seitenkanten tauchen Zahlenreihen und verschiedenenfarbige Markierungen auf. In diese schlägt sie reihenweise Nägel und überzieht mittels einer Schlagschnur den Bildgrund mit einer Unzahl paralleler senkrechter und waagerechter Linien. Dann ist es endlich soweit.

    Die erste Schablone wird oben links an der Leinwand fixiert und mit einem mit Ölfarbe getränkten Schwämmchen bestupft. Dunkelbraune Linien und Rechtecke kommen zum Vorschein. Die Schablone wird auf das benachbarte Feld versetzt und wieder betupft - mit der Künstlerin auf der Leiter rückt so die Schablone über die Leinwand und hinterläßt ein dunkles Ornament. Dieses geometrisch abstrakte Band entpuppt sich plötzlich als eine Reihe benachbarter Balkone: Das oberste Stockwerk eines Gebäudes, das zusehends von oben nach unten wächst. Die nächste, graublau bestupfte Schablone setzt silbrig schimmernde Fenster ein. Über die Balkonbrüstungen wachsen allmählich grüne Flecken. Die rot-weiß gestreiften Markisen werden heruntergelassen. Gleichzeitig blühen rote Geranien auf; an Spalieren wuchern Schlangengurken. Nach etlichen Tagen stetigen Stupfens scheint die Fassade komplett, aber nun gibt es noch eine Reihe kleinerer Veränderungen. Langendorf wandelt die Schablonen leicht ab, um einzelne Farben zu vertiefen oder abzutönen. Konturierungen und Schatten verstärken das Relief aus Balkonen und Pflanzen.

    Aus dem unscheinbaren Geflecht dünner Linien hat sich Schritt für Schritt ein Gemälde entwickelt, dessen Stakkato aus Farben und Formen jetzt den gesamten Raum des Ateliers beherrscht. Auf dem Tisch bleibt ein kleiner Stapel farbverschmierter Scherenschnitte, auf dem Boden ein Häufchen bunter Schwammstücke zurück.


    Peter Repp 1993
  4. Gabriele Langendorf: Zu meinen Bildern Seite 8

    Jedes meiner Motive gibt es tatsächlich.

    Ich lege grossen Wert auf einen Bezug zur realen Welt, deshalb suche ich in ihr die Motive. Alle meine Häuser existieren in der Wirklichkeit. Die Wiederholungen die zwangsläufig entstehen, sind keine malerischen Schematisierungen, sondern Schemata der Realität. Wenn diese Realität in meinen Arbeiten absurd oder aberwitzig erscheint, so ist das nicht erklärte Absicht.

    Natürlich reibe ich mich an den bestehenden Bauregeln oder Systemen, meine Architekturen sind Bild unserer Zeit, nicht aber Anklage. Die Pflanzen in den Bildern haben die gleiche Wichtigkeit wie die Hydrokulturen in den Eingangshallen der Hotels und Flughäfen.

    Die paradiesische Natur, die wuchernden Blüten und Blätter bilden quasi die Auftrittsbühne des Darstellers "Bauwerk".

    Ich besitze keine Zimmerpflanze.