Haus Salmegg, Rheinfelden / Baden, Dr. Elke Seibert:
Einführung zur Ausstellungseröffnung am 11.Mai 2003


Gabriele Langendorf

Schaulust

Es sollte keine Retrospektive sein, keine Gabriele Langendorf von bis. Der Künstlerin war klar, dass es als grosse Einzelausstellung natürlich eine Rückschau sein würde, aber es gibt noch viel zu viel zu sehen, als das es eine Retrospektive sein könnte. Rückschau hiesse, die Dinge aus einem anderen Winkel zu sehen, warum nicht von der Rückseite? So stellte die Künstlerin Bilder über Bilder, um ein passendes Motiv und einen Titel für diese Ausstellung zu finden. Aber nur die Rückseiten der Bilder würden nichts verraten, die Andeutung würde fehlen, gerade jene Andeutung, um mehr sehen zu wollen, die sie so sehr mag. Warum nicht "Schaulust"? Schauen mit Lust, Malen mit Lust, all das schwingt in Ihren Bildern mit. Zweideutig sollte es sein und Lust machen, mehr sehen zu wollen. Der von der Künstlerin gewählte Titel "Schaulust" benennt aber auch die Klammer der hier ausgestellten Bilder. Alle Werkgruppen gehören zu persönlichen Lebensabschnitten und Schaffensphasen, in denen Ideen bereits mitgetragen wurden, die sie aber erst im richtigen Augenblick mit Lust angegangen ist.

Die Architektur, die äussere und innere Hülle von Gebäuden, war und ist eine wichtige Konstante in ihrer Malerei. Gabriele Langendorf legt Bildfolgen an, um dem gewählten Sujet immer neue Seiten abgewinnen zu können. Aus einer gewissen Distanz heraus, oft gefiltert durch das Medium der Fotografien, nähert sie sich Fassaden, Aussenräumen und Zimmern. Und es sind keine Menschen zu sehen. Sie legt ganz spielerisch Raumfluchten und Ausschnitte fest, probt den Umgang mit Farbe, Licht und Tonalität aus und gibt den Bildern ihre verinnerlichten Gedanken.

Die Reihe der Schiffsbilder, die im Rahmen eines Reisestipendiums 1995 mit einemSchiff auf den Kanälen Europas entstanden, haben nur scheinbar eine Sonderstellung. Denn nur wenige Bilder wurden in der Natur oder nach realen Vorbildern gemalt, sondern auf einer "Nachreise" im Gedächtnis der Künstlerin, nach Skizzen, Fotografien und Erinnerungen, die übrig geblieben waren. Zu sehen sind Bilder bestimmt vom gleichförmigen Alltag auf einem Schiff und aus der Perspektive der Reisenden, in gleichmässig dahintreibender Geschwindigkeit. In diesen Schiffsbildern, wie bei den Hotelzimmern, relativiert Langendorf die Malweise und den Pinselduktus, um dem beabsichtigten Ausdruck nahe zu kommen. Technische Details werden in der Art Konrad Klaphecks umgesetzt. Gesellige, leicht morbide Schiffskutter, angelegt zum Landgang oder für die Einladng zur Neptunparty, erscheinen im Farbauftrag und der Lichtgebung des französischen Impressionismus. Die Faszination des Reisens auf einem Schiff, die anstrengende körperliche Arbeit und das Gefühl der vagabundierenden Freiheit führen sie zu heroischen Bildern mit den Mitteln der Überhöhung durch expressive Farbgebung. Dabei malt sie sich nicht durch die Kunstgeschichte, sondern setzt die Malweise als Stilmittel ein.

Zäsuren zwischen den Werkphasen Langendorfs waren immer mit Umbruchsituationen in ihrem Leben verbunden, wie die Einzelbilder ihres Rennrads und des Kinderwagens (im Treppenaufgang), die durch die hyperrealistische Malweise vom augenblicklich geforderten Realitätssinn zeugen. Das Bild einer Fassade aus Rheinfelden (im Eingangsbereich), als Hommage an ihre Heimatstadt mitgebracht, gehört zur Reihe der Architekturfassaden. Die Portraitreihe der Tochter Lilli ergab sich mit dem "allgegenwärtigen Modell" fast von selbst.

Die Sehnsucht nach dem anderen Leben jenseits des Alltags und der Verpflichtungen, in Gedanken auf Reisen gehen; dies vermag der zweiten grossen Werkgruppe, den Hotelbildern, den Ausdruck zu verleihen, die Phantasie der Menschen in Gang zu setzten und sie zum Erzählen zu bringen. "Menschen fangen komischerweise schnell an zu erzählen, wenn sie die Schlafzimmer sehen" sagt die Künstlerin. Auch bei den Hotelbildern wurden keine realen Reisen oder Reiseerlebnisse verarbeitet. Am Anfang stand das konzeptionelle Sammeln von Fotos und Reiseprospekten und in Gedanken erkundete Langendorf die Stimmungen der Zimmer, lüftete die Geheimnisse der fremden Betten und dachte nach, was sich hinter einer Schrankecke verbergen könnte. Mit der immer neuen, kalkulierten Wahl des Zimmerausschnitts, der Linienführung und des Blickwinkels und natürlich der Malweise, hat sie dem Motiv unzählige Andeutungen und unausgesprochene Geschichten subtil mitgegeben. Plüschig, romantisch, erotisch, kühl, sinnlich, bieder, rustikal, bürgerlich - karikiert durch doppeldeutig geschwungene Bettgestelle, entlarvend durch gleissend helle Standlampen und immer mit einem ironischen Augenzwinkern. Die Bildreihe ist gleich einem Hotel einfach durchnumeriert. Stellt man sich vor, alle Zimmer befänden sich in einem Haus, so laufen im Kopf Filme ab wie "Menschen im Hotel" oder die Geschichte des Hotels Adlon wird gegenwärtig. Im Katalog der hessischen Kulturstiftung Wiesbaden, der einen Überblick über das gesamte Werk liefert, wird mit einer Auswahl an Literaturzitate dieser latenten Grundstimmung nachgegangen.

Wenig Beachtung fand bisher die Bedeutung des Ornaments in den Bildern von Gabriele Langendorfs. Dabei steht sie mit ihrem Sujet des Interieurs in einer langen Tradition von Malern, die mit der Farbe gerungen haben und dem Ornament die gleiche malerische Aufmerksamkeit widmeten wie der Farbfläche. Angefangen beim Meister der klassischen Moderne, Henri Matisse, der im Einfügen des Ornamentalen in aufgelösten Bildflächen den Weg in die Abstraktion suchte aber der Gegenständlichkeit verhaftet blieb. Eindrücklich ist die Sicherheit für das kompositorische Gewicht des Ornaments in den Bildern Langendorfs und die sichere Ausführung, die viel über die Freude an ihrem ehemaligen Lehrberuf der Textilmusterzeichnerin verrät. Die Stille und das Schweigen von menschenleeren Räumen, die Faszination der Raumfluchten und der Tanz der Staubkörner im Licht machten das Werk des dänischen Malers Vilhelm Hammershói im ausgehenden 19. Jahrhundert berühmt. Seine Bilder, die Gabriele Langendorf sehr faszinieren, werden von Rainer Maria Rilke, der Hammershói 1904 kennenlernte, beschrieben als "lang und langsam, und in welchem Augenblick man es auch zu erfassen mag, es wird immer voller Anlass sein, vom wichtigen und wesentlichen in der Kunst zu sprechen."

Die Künstlerin eröffnet uns in der dritten grossen, hier gezeigten Bildfolge Einblicke in private Schlafzimmer, in fremde Betten, den intimsten Gemächern jeder Hausburg. Sie begiebt sich auf neues Terrain, vom öffentlichen in den privaten Raum. Sie bat Freunde, Fotografien der privaten Schlafzimmer zu machen, die sie aus ihrer Sicht umformte, in entsprechende Farben tauchte und erzählen liess. Für den Betrachter ist der Weg der Wahrnehmung ein anderer. Er sucht all die versteckten Andeutungen, über die oder den Bewohner dieser Zimmer. Auch Gabriele Langendorf spielt nicht nur einfach mit dem Voyeurismus, sondern arbeitet durch die bewusste Komposition individuelle Portraits heraus. Der Motivausschnitt und die Lichtführung, die Farbflächen, Farbverläufe und Farbfilter verleihen der privaten Unordnung den Reiz. Die Qualität des malerischen Ausdruck ist sowohl beim monochromen Farbauftrag als auch bei der Faltenbehandlung von gleicher Intensität. Die Malerin will mit Details Akzente setzten, durch Konzentration vereinfachen und viel Raum für Assoziationen lassen. Alles ist durchdacht und gleichzeitig intuitiv aus dem Bauch gemalt.

Einführung zur Ausstellungseröffnung am 11.Mai 2003 im Haus Salmegg (Rheinfelden) von Dr. Elke Seibert Michel, Kunsthistorikerin und Museumskuratorin der Stadt Weil am Rhein.