Kunstforum Band 137, 1997 Thema: Atlas der Künstlerreisen
Gabriele Langendorf
»Nachreise« auf einem langen Fluß
GABRIELE LANGENDORF (*1961 in Rheinfelden, lebt in Frankfurt): Der Lebenspartner von Gabriele Langendorf ist Seemann. Er besitzt einen selbstrestaurierten bretonischen Gaffelkutter.
Naheliegend also mit dem Schiff zu reisen. In ihrem Leben ist Gabriele Langendorf, abgesehen von Urlaub, kaum gereist. Dennoch oder gerade deshalb ist es ein alter Wunschtraum, ja eine Sehnsucht von ihr, die Welt zu durchreisen.
Als sie 1995 eine fast einjährige Schiffsreise antrat, schreibt sie, "war ich neugierig, wie sich so eine lange Reise auf mich selbst und auf meine Arbeit auswirkt. Malerei ist ja eher eine statische Geschichte. Man braucht ein Atelier und nicht viel Aufregung um sich."
Ihre Frage ist berechtigt: "Wie verträgt sich das Malen mit einem bewegungsreichen Nomadenleben per Schiff?" Langendorf hat die Motive für ihre Bilder bisher meist aus Reiseprospekten, Ansichtskarten und aus einer Mischung von Erinnerung und Medienrealität bezogen.
Jetzt wollte sie einmal mit eigenen Augen Motive entdecken.
(Bia.)
Wir starteten die Reise vom Frankfurter Westhafen im Frühjahr 1995. Sie führte über Koblenz, Köln, Düsseldorf, Arnheim, kreuz und quer durch die friesischen Gewässer, Leuwaden, deutsche und holländische Nordseeküste, Harlingen, Jjsselmeer, LelyStadt, Amsterdam, Utrecht,
Herzogenbosch, Eindhoven, Maastricht, Lüttich, Namur, durch den Norden von Frankreich über Reims, Marne au Saone Kanal, Saone, St. Jean de Losne, Macon, Lyon, Valence, Avignon, Arles, Port St. Louis, Marseille, Cöte d'Azur, Port Grimaud, wieder Marseille (dort liegt jetzt das Schiff).
Silvester 1995 wieder zurück nach Frankfurt. Sommer 96 nochmals sechs Wochen in und um Marseille.
Insgesamt sind wir circa 4000 Kanal- und Flußkilometer, 200 Seemeilen und durch circa 350 Schleusen gefahren. Es war eine sehr romantische, naturverbundene, unzeitgemäße, manchmal auch sehr einsame Reise.
Wind und Wetter, den Launen der Natur und der Schiffahrtstechnik ausgesetzt. Jeden Tag irgendwo anders. Wir haben tagsüber im Freien gelebt, manchmal auch nachts. Sonst haben wir immer unter Deck in der Koje geschlafen.
Wir bewegten uns mit circa 10 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit. Eine extrem langsame Reise, wenn man bedenkt, daß man mit dem Auto dieselbe Strecke in wenigen Tagen fahren könnte.
Es ergibt sich eine ganz andere Sichtweise der Landschaft - immer vom Wasser aus. Man ist nicht an Land, sondern auf einer schwimmenden Insel, unsere Heimat während dieser Zeit. Städte mit dem Schiff anlaufen ist was ganz anderes, als wenn man diese per Zug, Auto oder Flugzeug besucht (etwa Amsterdam oder Marseille).
Auch die wenigen Menschen, die man unterwegs trifft, haben meistens mit Schiffahrt zu tun und sind oft sehr freundlich und hilfsbereit.
Es gab andererseits auch triste Momente: Gefahren, eintönige Landschaftsmonotonie, kaum Privatsphäre und sogenannte Reisedepressionen. Man fragte sich: "Was soll ich überhaupt hier?" Doch es war gut, auch schlechte Momente zu erleben.
Es zeigte mir, daß es irgendwann auch einen ganz normalen Alltag auf einer langen Reise gibt (Zuhause stellt man sich das oft anders vor). Die guten Tage und Momente waren jedoch in der Überzahl, eine insgesamt wunderschöne und wichtige Zeit.
Ich habe viel Malmaterial und eine Fotokamera mitgenommen. Mein ursprünglicher Plan war, während der Reise so viel wie möglich zu malen. Zu Beginn gelang mir dies einigermaßen gut, zusätzlich zur täglichen Bordarbeit. Habe auch einige Plein-Air-Bilder gemalt - mit der Staffelei vor dem Motiv.
Mit den Ergebnissen war ich nicht zufrieden. Vielleicht war ich zu ungeduldig. Dazu kommt, daß der Drang immer weiter zu fahren stärker war, als lange irgendwo zu bleiben. Außerdem bin ich es gewohnt, lange im Atelier ein Bild zu entwickeln.
Je mehr ich sah, desto verwirrter wurde ich im Kopf. Die Motive drehten sich wie ein Karussell im Hirn. Kein Abstand und ständig neue Eindrücke und Faszinationen machten die Entscheidung für mich immer schwerer, was ich schlußendlich malen soll. Irgend wann beschloß ich, während der Reise nicht mehr zu malen und statt dessen nur noch zu schauen und alles wie ein Schwamm in mich aufzusaugen.
Ich knipste Fotos, sie sollten mir als Skizzenmaterial und Erinnerungsstützen dienen. Ich faßte den Entschluß, erst wieder im Atelier zu malen.
Seit knapp einem Jahr arbeite ich nun an den Bildern. Im Atelier findet nun die "Nachreise" und Aufarbeitung statt. Zuerst waren die Reiseeindrücke und erlebten Geschichten noch sehr präsent.
Die gemalten Motive waren von dieser Faszination durchtränkt. Jetzt, knapp ein Jahr später, werden die vielen Erinnerungen immer spärlicher und verflüchtigen sich. Nur das Wichtigste filtriert sich heraus.
Ich besitze jetzt den Abstand, um das Wesentliche herauszuarbeiten. Alles wird immer abstrakter.
Ich werde so lange an diesen Reisebildern arbeiten, bis ich keine Notwendigkeit mehr sehe weiterzumachen. Vielleicht werde ich wieder an den Hotels und Schwimmbädern weiterarbeiten (frühere Motive).
Vielleicht stehen diese Schiffsbilder eher konträr zu meinen früheren Arbeiten. Ich sehe Malerei und das Leben als etwas sich ständig Weiterentwickelndes.
Eine mühsame Reise auf einem langen Fluß mit vielen Hindernissen - so gesehen war meine Reise sogar eine schöne Metapher dafür.
Gabriele Langendorf, Brief an Paolo Bianchi vom 18. November 1996